Medialer Epikanthus und Pseudoepikanthus

MARKUS J. PFEIFFER

Einleitung

Als Epikanthus bezeichnet man eine Hautfalte, die vor dem medialen Lidwinkel liegt. Diese Falte kommt gewöhnlich bei der asiatischen Bevölkerung in verschieden ausgeprägten Varianten vor. Bei der kaukasischen Bevölkerung  findet man einen Epikanthus im Rahmen von angeborenen Syndromen, z.B. Blepharophimosesyndrom (BPES) oder Down Syndrom. Die Epikanthusfalte entsteht durch übermäßige Spannung der Haut bei Hautmangel oder durch überbrückendes subkutanes Gewebe zwischen Oberlid und Unterlid. Die chirurgische Korrektur erfolgt durch Entlastung der Spannung und Ersatz der fehlenden Haut mittels großflächiger plastischer Hautverschiebung oder Hauttransplantation.

Abstract

Epicanthus is a skin fold  covering the inner angle of the eyelid. This fold is typical in the Asian population. It can be observed in a great  variety of  grades. In the Kaukasian population Epicanthus is associated with some syndromes, like Blepharophimosis Syndrome or Down Syndrome. The epicanthal fold  originates from  excessive tension of skin caused by skin deficit and / or  by bridging subcutaneous tissue. The epicanthal fold can be corrected  surgically by reduction of the tension and full  replacement of skin defect by skin redraping or skin grafting.

Angeborener Epikanthus

Ein kongenitaler Epikanthus kommt beim Down Syndrom, Hypertelorismus und Blepharophimosesyndrom vor.

Topografía del epicanto medial

Der mediale Kanthus (comissura palpebralis medialis) bildet eine konkave Mulde. Projiziert man auf den medialen Kanthus eine vertikale Linie, so findet man den tiefsten (oder posterioren) Punkt an der Stelle der Karunkel (Abb. 1). Die Karunkel befindet sich sogar etwas weiter posterior als die Kommissur. Diese Topographie begünstigt die Bildung eines Epikanthus mit der Bildung einer Falte vor der Karunkel. Die Bildung einer vor der Kommissur  oder Karunkel liegenden Falte kann durch drei Ursachen entstehen.

Ursachen für mediale Epikanthusfalten

1. Medialer Pseudoepikanthus

Der Pseudoepikanthus entsteht durch einen Hautüberschuss (Dermatochalasis) am medialen Kanthus. Überschussfalten bilden sich rechtwinklig (90°) zur Richtung des Überschusses.   Überschussfalten lassen sich einfach durch Exzision des Überschusses korrigieren (Verschiebung des Überschusses nach medial und Kürzung) korrigiert werden

2. Epikanthus: kutane Traktion

Ein mediales Hautdefizit kann angeboren  (asiatischer Epikanthus oder Teil eines kongenitalen Syndroms) oder erworben sein durch Vernarbung oder einen fibrotischen Prozess. Traktionsfalten bilden sich in der Richtung der Traktion.

3. Epikanthus: subkutane Traktion von Brückengewebe

Die subkutane Traktion ist oft eine Begleiterscheinung der kutanen Traktion. Es besteht  eine subkutane Gewebsbrücke zwischen dem medialen  Oberlid und Unterlid . Diese kann kongenital  durch Fusion der Orbikularisfasern zwischen  dem Oberlid und Unterlid vor der Kommissur entstehen.

Die Projektion einer vertikalen und horizontalen Spaltlichtlinie zeigt den tiefsten Punkt der Konkavität des medialen Kanthus im Niveau der Karunkel.

Die Epikanthusfalte überdeckt die mediale Komissur und die Karunkel.

 

Der Pseudoepikanthus (pec) entsteht durch einen Hautüberschuss mit Faltenbildung (Dermatochalasis) vor dem eigentlichen medialen Kanthus (mca). Überschussfalten bilden sich rechtwinklig (90°) zur Richtung des Überschusses.   Überschussfalten lassen sich einfach durch Exzision des Überschusses korrigieren (Verschiebung des Überschusses nach medial und Kürzung) korrigiert werden

Beim echten Epikanthus liegt überbrückendes Gewebe (EC) innerhalb der Hautfalte und vor der medialen Komissur (mca).

 

Pseudoepikanthus: Der Hautüberschuss am medialen Kanthus führt zur Faltenbildung. Es besteht kein subkutanes überbrückendes Gewebe. Die Falte bildet sich senkrecht zur Richtung des Hautüberschusses. Die  Epikanthusfalte entsteht durch horizontalen Hautüberschuss zwischen der crista lacrimalis anterior und der Kommissur, also rechtwinklig zum Hautüberschuss.


Pseudoepikanthus postoperativ: nach operativer Korrektur: die überschüssige Haut wurde horizontal nach medial zum Lidband hin verschoben und gekürzt.

 

Medialer Epikanthus, Epikanthoplastiken ohne Hautersatz (Lokale Verschiebe- der Schwenkplastiken)


Durch eine Kombination von kleinen Hautlappen,  z.B. YV – Plastik oder doppelte Z –Plastik, kann man erreichen, dass die vertikale Verkürzung der Haut und der Subkutis beseitigt wird, indem Haut aus der horizontalen Richtung in die vertikale Richtung geschwenkt wird. Trotz aufwändiger Schnittführung, wird oft kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht, weil diese Techniken zwar die ursprüngliche Traktionsrichtung entlasten, aber eine neue Traktion in einer anderen Richtung herstellen, die  sekundär zur Vernarbung beiträgt]. Aus diesem Grund habe ich in diesem Beitrag auf Darstellung der vielfältigen Lappentechnik verzichtet, um näher auf den bewährten großflächigen Hautersatz einzugehen.

Supraziliare Hautverschiebung nach medial  (skin redraping)


Das „skin redraping“  (Hautverschiebung) ist eine elegante Technik, die den Hautüberschuss des Oberlides durch eine supraziliare Inzision zwischen Wimpernreihe und Lidfurche über die gesamte Breite mobilisiert, um einen breiten Hautlappen nach medial zu transponieren. Die Technik gerät an ihre Grenzen, wenn die vom konvexen Oberlid nach medial  verschobene Hautfläche für die Deckung des konkaven Defektes am medialen Kanthus nach unten nicht ganz ausreicht und die Traktion nicht vollständig beseitigt werden kann. Eine supraziliare Inzision 2-7 mm oberhalb der Wimpernreihe über die gesamte Breite des Oberlides angelegt und mündet medial in einer horizontalen Inzision der Epikanthusfalte  (Epikanthotomie). Der darüberliegende Hautüberschuss wird vom Orbikularismuskel abpräpariert und nach medial verschoben.

Die moderate Epikanthusfalte verursacht durch subkutane Traktion. Diese wird durch überbrückendes Gewebe, z.B. Fasern des Orbikularismuskels oder Fibrose verusacht,  die vor der Kommissur eine Brücke zwischen Oberlid und Unterlid bilden.

 

 


Die supraziliare Inzision kann zwischen der Wimpernreihe und der Lidfurche erfolgen. Die darüber liegende Haut wird lappenförmig vom Orbikularismuskel abgelöst  und nach medial verschoben.

 

 

Die Pinzetten fassen das Brückengewebe, das zwischen dem medialen Oberlid und Unterlid verläuft. Meist handelt es sich um Muskelfasern oder Fibrosen, die entfernt werden müssen.


 

Postoperativ:  Durch die  Hautverschiebung  nach medial wurde die Epikanthusfalte korrigiert.

 

Freie Hauttransplantation

Die freie Hauttransplantation  ist bei größeren Hautdefekten unumgänglich. Sie bietet oft  die einzige, uneingeschränkte Möglichkeit, den Hautdefekt vollständig auszufüllen. Auch bei kleineren Hautdefekten, z.B. beim asiatischen Epikanthus  ist die Methode einfacher zu handhaben als das „skin redraping“.  Zunächst wird wie bei der letztgenannten Methode eine Kanthotomie durchgeführt. Danach kann der Hautdefekt am medialen Kanthus abgeschätzt werden. Der Hautdefekt wird eher unterschätzt. Man muss damit  rechnen, dass ein großer Teil des Transplantates in der neu geschaffenen Erweiterung de Lidspalte versenkt werden wird.
Es wird zuerst ein passendes lanzettförmiges Hauttransplantat von 15-20 mm Länge und 5-8 mm Breite  exzidiert. Beim asiatischen Oberlid kann dies mit einer mehrschichtigen Blepharoplastik zur Änderung der Lidfurche oder Korrektur der Wimpernptosis entnommen werden (Abb. 12). Beim Blepharophimosesyndrom ist dies nicht möglich und es muss ein anderes Spenderareal,  z.B  (Vollhaut, retroaurikuläre Haut ,  malare Haut  oder Spalthaut vom Oberarm) gewählt werden. Das Hauttransplantat  soll den bogenförmigen Hautdefekt  dreidimensional ausfüllen. Meist heilen die Transplantate in diesem Bereich sehr gut ein, weil bei dieser Technik keinerlei Traktion entsteht. Überschüssige Ränder oder die Bildung von Falten im Transplantat  können nachträglich leicht getrimmt werden.  Als Ergebnis sollte angestrebt werden, dass die runde Falte des medialen Kanthus mit Verdeckung der Karunke  beseitigt wird und ein spitzwinkliger medialer Kanthus mit sichtbarer Karunkel resultiert.

 Bei großen Hautdefekten (Defekt nach Durchtrennung einer traumatische Epikanthusfalte) wird ein 30 mm langes lanzettförmiges Hauttranstransplantat  aus dem Oberlid entnommen und bogenförmig eingesetzt.

Das Hautdefizit sollte nicht unterschätzt werden. Nach der Kanthotomie kann man das Ausmaß des klaffenden, bogenfömigen Defektes  erkennen und das erforderliche freie Hauttransplantat wie bei einer Oberlidblepharoplastik entnehmen.

 

 

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Präoperativ: Asiatischer Epikanthus mit bogenförmiger Falte, die die Karunkel überdeckt. Als Nebenbefund findet sich eine Senkung der vorderen Lidlamelle an den Oberlidern.  

Postoperativ nach Epikanthoplastik: durch die prätarsale Entnahme des Hauttransplantates konnte  als Nebeneffekt die vordere Lidlamelle korrigiert werden. Der mediale Kanthus ist spitzwinklig erweitert. Die Karunkel ist sichtbar.

 

 

In Kürze

Das mit dem Epikanthus einhergehende Hautdefizit kann mit Z-Plastiken oder V-Y-Plastiken oft nur unvollständig korrigiert werden. Größere Hautdefekte lassen sich durch eine großflächige Hautverschiebung decken. Die freie Hauttransplantation bietet allerdings die uneingeschränkte Möglichkeit, einen spitzen Lidwinkel mit freier Karunkel zu erreichen.