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OPHTHALMO-CHIRURGIE 27: 85 – 94 (2015)

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LIDCHIRURGIE

Laterale Kanthoplastik

Markus J. Pfeiffer

München

Die laterale Kanthopexie, die laterale Kanthoplastik oder 
laterale Tarsalzungenplastik (tarsal strip) zählen zu den 

häufigsten Eingriffen der Lidchirurgie und werden meist kom­
biniert bei der Behandlung von Unterlidfehlstellungen, bei 
der Lidrekonstruktion und Unterlidblepharoplastik eingesetzt 
[1]. Die Integrität des lateralen Kanthus ist in funktioneller 
und ästhetischer Hinsicht [2] von außerordentlicher Bedeu­
tung. Wie bei der Ptosischirurgie ist auch bei der Kanthoplas­
tik eine exakte Justierung notwendig. Kanthusfehlstellungen 
haben multiple Ursachen, die zu einer Vielfalt von Abweichun­
gen führen. Sie können angeboren oder erworben sein und 
durch traumatische oder chirurgische Läsionen der hinteren 
oder vorderen Lidlamelle verursacht werden. 

Geometrische Grundlagen des lateralen Kanthus:  

Normale und abweichende Kanthuspositionen

Die Höhe und Öffnung des Winkels der lateralen Fusion von 
Oberlid und Unterlid hängt von multiplen Faktoren ab, z. B. 
der Bulbusposition, der Lidspaltenöffnung, der Lidbandposi­
tion, den vertikalen Ligamenten der inneren Lamelle und der 
Beschaffenheit des Orbikularismuskels und der Haut. Die Ko­
ordinaten des Lidwinkels variieren in drei räumlichen Koordi­
naten und resultieren in verschiedenen Winkelöffnungen. Die 
pathologischen Veränderungen der Lidstrukturen werden bei 
den einzelnen Formen der Kanthusfehlstellung erläutert.

Kanthusäquator

Der Kanthusäquator (Abbildung 1) liegt auf einer Ebene, die 
zwischen dem unteren Punctum lacrimale und dem lateralen 
Kanthus den Bulbus in zwei Hemisphären teilt. Die hohe äqua­
toriale Lage des lateralen Kanthus (Äquatorialer Kan thus, 
Abbildung 2) ist in Europa selten und kommt häufiger bei 
Asiaten vor. Die äquatoriale Kanthusposition wird ästhetisch  
favorisiert und ermöglicht die stabilste Lage der Unterlid­
kante auf einer äquatorialen Kurve. Die Lidspalte erscheint 
symmetrisch und mandelförmig. 

Lateraler Kanthus: 

Normale Variationen der Position  

und Fehlstellungen 

Die Kanthusposition hängt sowohl von der Position der latera­
len Lidbandinsertion als auch von den vertikalen Ligamenten 
ab („Orbitomalarseptum“, „Pessaseptum“, „orbital retaining 
ligament“ usw.). Normalerweise liegt der laterale Kanthus 
unterhalb des Kanthusäquators nicht höher als die optische 
Achse und nicht tiefer als das untere Tränenpünktchen, also 
zwischen den Positionen „hoher Kanthus“ und „horizontaler 
Kanthus“ (Abbildung 2). Auch die seltenere äquatoriale Posi­
tion gilt als normal. Bei den Fehlstellungen unterscheidet man 
vertikale und horizontale Abweichungen (Abbildung 2). Bei 
einem Hypokanthus liegt der laterale Kanthus tiefer als der 
mediale Kanthus. Bei einem Hyperkanthus liegt der laterale 
Kanthus höher als der Kanthusäquator. Als häufigste horizon­
tale Abweichung gilt der laterale Telekanthus. 

→ 

Zusammenfassung: Kanthusfehlstellungen werden häu­

figer am lateralen Kanthus als am medialen Kanthus beob­
achtet. Es gibt angeborene Abweichungen oder erworbene 
Kanthusfehlstellungen in Folge degenerativer Prozesse, 
Traumata oder chirurgischer Eingriffe. Dieser Beitrag be­
schreibt die häufigsten Fehlstellungen des lateralen Kan­
thus und erläutert chirurgische Techniken zur Korrektur. 
Kanthusfehlstellungen lassen sich mit verschiedenen Varia­
tionen der lateralen Kanthoplastik korrigieren. 

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→ 

Summary: The lateral canthus is more frequently affec­

ted by anomalies than the medial canthus. The origin may 
be congenital or secondary after a degenerative process, 
trauma or surgery. This article describes the most common 
anomalies of the lateral canthus and suggests surgical solu­
tions, like special variations of lateral canthoplasty.

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malarband ist vertikal verkürzt und muss durchtrennt wer­
den. Das laterale Lidband kann danach in höherer Position an 
der Innenseite der Jochbeinsäule fixiert werden. Diese Fixa­
tion erfolgt durch eine laterale Kanthoplastik (Abbildung 4).

Erworbener Hypokanthus

Hypokanthus durch Defekt der hinteren Lamelle

Der erworbene Hypokanthus wird durch einen Defekt der 
hinteren Lamelle oder durch die Insuffizienz der Lidbandauf­
hängung verursacht. Dies kann durch chirurgische Eingriffe 
(Abbildung 5) oder traumatisch (Abbildung 7) bedingt sein. 
Durch Kantholyse (Sektion des lateralen Lidbändchens), Re­
konstruktion des lateralen Lides oder Dehiszenz einer latera­
len Kanthoplastik kann eine insuffiziente Verankerung ent­
stehen und das Unterlid am lateralen Kanthus absinken. 

Kongenitaler Hypokanthus

Der laterale Lidwinkel liegt beidseits tiefer als medial. Kongeni­
tal besteht beidseits eine nach lateral abfallende Lidspalte. Die 
Verankerung der lateralen Lidbänder findet sich an einer tiefe­
ren Stelle der Jochbeinsäule und außerhalb der Orbita. Wenn die 
Kanthusposition nach unten und lateral stärker abweicht, bildet 
sich ein Spalt zwischen Lidrand und Bulbus, also ein laterales 
Ektropium des Unterlides. Das Oberlid kann ebenfalls betroffen 
sein und eine Pseudoptosis aufweisen, da der Hypokanthus die 
Oberlidkurve in ein tieferes Niveau zieht (Abbildung 3).

Operative Korrektur

Sowohl die horizontal verlaufenden als auch vertikal ver­
laufenden fibroelastischen Strukturen am lateralen Kanthus 
müssen korrigiert werden (Abbildung 3 und 4). Das Orbito­

Abbildung 4: Postoperativ: Der laterale Kanthus wurde durch Kantho­
tomie und Kantholyse (Lösung der vertikalen Ligamente) mobilisiert 
und durch eine Kanthoplastik an höherer Stelle fixiert. Die vordere 
Lamelle des Oberlides wurde lateral um 4 mm gekürzt.

Abbildung 2: Bestimmung der verschiedenen lateralen Kanthusposi­
tionen im Winkel vom Niveau der optischen Achse aus gemessen. Die 
häufigsten normalen Positionen liegen zwischen ­15° („horizontal“: 
im Punktumniveau) und 0° („hoch“: im Niveau der optischen Ach­
se). Die Position +15° (äquatorial) findet man häufiger bei der asia­
tischen Bevölkerung. Die Positionen ­30° (Hypokanthus) und +30° 
(Hyperkanthus) gelten als Fehlstellungen.

Abbildung 3: Präoperativ: Kongenitaler Hypokanthus: Die Position 
beträgt ­30°. Der Hypokanthus führt auch zu einem lateralen Unter­
lidektropium [4] mit Epiphora.

Abbildung 1: Teilt man den Bulbus an der Ebene des Tränenpünkt­
chens in zwei Hemisphären, so verläuft die äquatoriale Linie nach la­
teral und oben zu einer hohen Kanthusposition. Diese Position liegt 
15° höher als das Niveau der optischen Achse. Die äquatoriale Lage 
bietet die stabilste Position des Unterlides.


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Hyperkanthus

Bei einem Hyperkanthus liegt der laterale Lidwinkel höher 
als der Kanthusäquator (Abbildung 2). Der Hyperkanthus ist 
meist erworben durch Trauma oder chirurgische Eingriffe. Ur­
sache ist ein Defekt der Aufhängung des lateralen Oberlides 
bzw. ein Fehlen des lateralen Lidbändchens. Anamnestisch 
findet man häufig ein vorausgegangenes Trauma oder eine 
Rekonstruktion des lateralen Oberlides, z. B. nach Tumorre­
sektion. Auch beim „Floppy Eyelid Syndrome“ kann infolge 
einer Keilresektion des lateralen Oberlides ein Hyperkanthus 
auftreten. Durch das Fehlen der lateralen Verankerung des 
Oberlides verliert auch der Orbikularismuskel seinen Ansatz 
über der Jochbeinsäule und dadurch seine lidsenkende Wir­
kung. Die Fehlstellung des Oberlides kann sogar übermäßig 
nach oben abweichen, wenn die Wirkung des Orbikularis­
muskels oberhalb des Kanthusäquators zur Lidhebung führt 
(Pseudoretraktion; Abbildung 11). Die Patienten leiden an 
den typischen kornealen Expositionsbeschwerden durch den 
insuffizienten Lidschlag und Lidschluss.

Operative Korrektur

Die Lücke zwischen dem Periost und dem intakten Lidrest 
muss durch fibröses Gewebe überbrückt werden. Dies kann 
durch einen gestielten Lappen aus dem Periost der Jochbein­
säule oder durch Transplantation von autologer Fascia lata 
geschehen (Abbildungen 6 und 8). 

Hypokanthus durch Defekt der vorderen Lamelle

Gewebsdefekte der vorderen Lamelle entstehen meist durch 
Trauma oder übermäßige Resektion bei der Unterlidblepharo­
plastik (Abbildung 9). Falls die Retraktion über mehrere Mo­
nate besteht, muss auch mit eine sekundären Verkürzung der 
vertikalen Lidbänder gerechnet werden.

Operative Korrektur

Nach einer subziliaren, nach lateral erweiterten Entlastungs­
inzision wird eine laterale Kanthoplastik durchgeführt. Durch 
Verschiebung der prämalaren Orbikularismuskelschicht nach 
oben und Verankerung am Periost der Jochbeinsäule (Malar­
lift) kann eine Unterlage für ein freies Hauttransplantat ge­
schaffen werden (Abbildung 10).

Abbildung 8: Postoperativ (rechtes Auge): Überbrückung der Lidband­
defekte durch Vorlagerung, Hebung und Verankerung der Retraktoren­
schicht

Abbildung 6: Postoperativ: Der Defekt der hinteren Lamelle wurde 
überbrückt, indem das intakte Restlid mit einem Periostlappen von 
der Jochbeinsäule verbunden wurde.

Abbildung 7: Präoperativ (rechtes Auge): Hypokanthus nach tiefem, 
stumpfem Trauma am lateralen Kanthus mit Läsion der Lidbänder

Abbildung 5: Präoperativ: Nach zunächst unauffälliger lateraler Unter­
lidrekonstruktion bildete sich nach Monaten ein winkelförmiger Hypo­
kanthus. Ursache war eine Dehiszenz der lateralen Lidverankerung.


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Abbildung 12: Postoperativ: Das insuffiziente laterale Lidband wurde 
durch Implantation von autologer Fascia lata zwischen Tarsus und 
Jochbeinsäule ersetzt, um den lateralen Kanthus zu senken (siehe 
Abbildung 25).

Abbildung 10: Postoperativ: Vor dem Hautersatz durch freie 
Hauttransplantation wurden die verkürzten vertikalen Lidbänder ge­
löst (siehe Abbildung 24).

Abbildung 14: Postoperativ: Das insuffiziente laterale Lidband wurde 
durch Implantation von autologer Fascia lata zwischen Tarsus und 
Jochbeinsäule ersetzt (siehe Abbildung 25).

Abbildung 11: Präoperativ: Vorausgegangen war eine Kürzung des 
lateralen Oberlides bei „Floppy Eyelid Syndrome“. In der Folge ist der 
laterale Kanthus wegen Insuffizienz der lateralen Lidbandfixation 
übermäßig angestiegen. Da der Oberlidrand höher liegt als der Kan­
thusäquator wird eine Pseudoretraktion verursacht.

Abbildung 9: Präoperativ: Nach übermäßiger Hautresektion besteht 
eine Retraktion der vorderen Lamelle, die auch sekundär zum Hypo­
kanthus durch Verkürzung der vertikalen Lidbänder führte.

Abbildung 13: Präoperativ: Vorausgegangen war eine Rekonstrukti­
on des lateralen Oberlides nach Basaliomexzision. Durch die Insuffi­
zienz des oberen lateralen Lidbandes wird der laterale Kanthus nach 
oben disloziert. 


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bei BPES horizontal verkürzt sind, ist ein aufwändiger rekon­
struktiver Aufbau beider Lidlamellen des lateralen Oberlides 
und Unterlides notwendig.

Erworbener lateraler Telekanthus 

Der erworbene laterale Telekanthus wird gelegentlich beim 
Fuchs­Syndrom (Blepharochalasis) beobachtet. Durch die 
Atro phie der Lidlamellen kommt es vorwiegend zur Verdün­
nung des kollagenen Bindegewebes, während die Muskel­
fasern des Orbikularis funktionsfähig bleiben. Diese Mus­
kelfasern im Unterlid und Oberlid verlieren dadurch ihren 
Ansatz am lateralen Kanthus und wirken zusammen wie ein 
Sphinkter, der den Kanthus nach medial zur optischen Achse 
hin verziehen kann (Abbildung 15). 

Operative Korrektur

Falls noch intaktes Bindegewebe vorhanden ist, kann sowohl 
am Oberlid als auch am Unterlid eine Tarsalzunge präpariert 
und lateral am Periost verankert werden. Bei ausgeprägter 
Atrophie der fibroelastischen Strukturen muss der Bindege­
websdefekt durch einen Periostlappen [4] oder durch autolo­
ge fascia lata überbrückt werden (Abbildung 17).

Erweiterter Winkel des lateralen Kanthus

Normalerweise bildet der laterale Kanthus einen spitzen Win­
kel zwischen Unterlid und Oberlid. Ein erweiterter lateraler 
Lidwinkel wird auch als „rundes Auge“ bezeichnet. Er kann 
durch Exophthalmus oder durch Retraktion der vorderen oder 
hinteren Lidretraktion entstehen.

Operative Korrektur 

Es kann zunächst versucht werden, den Lidbanddefekt durch 
einen Periostlappen vom Jochbein zu überbrücken. Falls der 
Periostlappen keine dauerhafte Verankerung herstellt, kann 
dies zuverlässiger durch Transplantation autologer Fascia 
lata erreicht werden. Diese wird sowohl prätarsal im intak­
ten Rest des Oberlides als auch lateral am Periost verankert 
(Abbildung 12).

Telekanthus

Man versteht unter einem Telekanthus eine Verschiebung 
des lateralen Kanthus nach medial. Die horizontale Lidspal­
tenweite und das temporale Gesichtsfeld werden dadurch 
eingeengt.
 

Kongenitaler lateraler Telekanthus

Der kongenitale laterale Telekanthus tritt neben der Ptosis 
und dem medialen Epikanthus beim Blepharophimosesyn­
drom (BPES) auf. Im Vergleich zu Ptosis und Epikanthus ver­
ursacht er eine geringere funktionelle und ästhetische Beein­
trächtigung und wird daher seltener korrigiert. Da die Lider 

Abbildung 17: Postoperativ: Durch einfache laterale Kanthoplastiken 
mit Tarsalzungen wurden Ober­ und Unterlider lateral am Periost ver­
ankert. 

Abbildung 16: Präoperativ: Erworbener Telekanthus bei der Blepha­
rochalasis Fuchs. Durch die Atrophie der lateralen Lidbänder wird der 
Kanthus vom Orbikularismuskel nach medial gezogen.

Abbildung 15: Die Sphinkterwirkung der Orbikularisfasern entsteht 
durch die Dehiszenz des lateralen Lidbandes (LD) bei erhaltener 
Kontraktion des Orbikularismuskels und führt zur Verschiebung des 
Kanthus nach medial (TK: Telekanthus).


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Laterale Kanthoplastiken

Laterale Kanthopexie 

Die Kanthopexie kommt ohne eine Sektion der Lidbänder oder 
der vertikalen Lidligamente aus. In den Verlauf des lateralen Lid­
bandes wird durch einen Tunnel Nahtmaterial eingeführt und in 
der Tiefe am Periost verknotet. Die sekundäre, durch das Naht­
material ausgelöste Fibrose kann zur dauerhaften Straffung des 
Lidbandes führen. Die Justierung und der Langzeit effekt sind 
allerdings schwer vorauszusagen. Deshalb eignet sich laterale 
Kanthopexie eher für eine einfache Straffung und nicht für die 
Korrektur der oben genannten Kanthusfehlstellungen.

Laterale Kanthoplastik

Die laterale Kanthoplastik (Tarsalzungenplastik) eignet sich 
für die Korrektur aller oben aufgeführten Kanthusfehlstel­
lungen [1, 4]. Sie kann in allen drei räumlichen Koordinaten 

Stumpfer Lidwinkel durch Lidretraktion

Trauma und chirurgische Eingriffe sind die häufigsten Ursa­
chen für die Retraktion am lateralen Kanthus. Die Retraktion 
kann von beiden Lidlamellen ausgehen. Nach tiefem Trauma 
kann ein Defekt beider Lidlamellen bestehen (Abbildungen 
18 und 19). Häufiger ist eine Verkürzung der vorderen Lid­
lamelle (Haut und Orbikularismuskel) verantwortlich, vor 
allem nach übermäßiger Resektion bei einer Unterlidblepha­
roplastik. Auch bei einem primären Gewebsdefekt der vorde­
ren Lidlamelle können sich sekundär die Bänder und Septen 
der hinteren Lamelle verkürzen. Deshalb ist bei der operati­
ven Korrektur vor einer plastischen Deckung des Defekts der 
vorderen Lamelle auch eine Lösung der vertikalen Ligamente 
notwendig (Abbildung 24.)

Abbildung 19: Postoperativ (linkes Auge): Die chirurgische Korrektur 
erfordert eine separate Rekonstruktion der vorderen und der hinteren 
Lidlamelle. Die Verankerung der hinteren Lamelle wurde durch einen  
Periostlappen und die Transplantation von autologer Fascia lata rekons­
truiert. Für die Deckung der vorderen Lidlamelle wurde ein Muskellappen 
des Orbikularismuskels transponiert, bevor Haut transplantiert wurde.

Abbildung 18: Präoperativ (linkes Auge): runder lateraler Kanthus 
durch Gewebsverlust nach Hundebissverletzung. Die oberen und un­
teren Lidbänder und der Orbikularismuskel sind lateral zerstört. Die 
Folge war ein runder Kanthus mit insuffizienter Lidschlussfunktion.

Abbildung 21: Verschiebung der Tarsalzunge 
in die Orbita auf die Innenseite der Jochbein­
säule.

Abbildung 22: Schemazeichnung einer late­
ralen Kanthoplastik: Die Tarsalzunge wird von 
hinten nach vorne mit zwei Nadeln des dop­
pelt armierten Fadens perforiert (siehe auch 
Abbildung 23). Die Nadeln werden rückwärts 
zwischen dem prolabierenden Orbitafett und 
dem Periost in die Orbita eingeführt. Dort fas­
sen sie das Periost der lateralen Orbitawand 
und treten an der Orbitakante aus. 

Abbildung 20: Der Spannungsvektor des 
Unterlides ändert sich von der medialen zur 
lateralen Insertion um 90°.


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justiert werden [3]. Der Effekt der lateralen Kanthoplastik 
beruht weniger auf einer linearen horizontalen Kürzung (wie 
der Eingriff auch genannt wird), sondern auf der zirkulären 
Verschiebung der fibroelastischen Lidlamelle und der tangen­
tialen lateralen Lidverankerung nach posterior in die Augen­
höhle. Der Vektor der Lidspannung ändert sich im Verlauf des 
Unterlides zwischen der Crista lacrimalis posterior (Hinterer 
Schenkel des lateralen Lidbandes) und der Insertion des late­
ralen Lidbandes um 90° (Abbildung 20).
Nach einer kleinen horizontalen Kanthotomie wird das Lid­
band am Periost durchtrennt. Zusätzlich ist meist eine Ablö­
sung der häufig sekundär verkürzten vertikalen Lidligamen­

te notwendig. Aus dem lateralen Ende des Tarsus wird eine 
Zunge von 2 mm präpariert. Eine Kürzung des Lides ist nur 
in Ausnahmefällen bei übermäßiger Erschlaffung notwendig. 
Die Tarsalzunge wird auf der Rückseite von der Bindehaut be­
freit. Auf ihrer Vorderseite wird die Haut lappenförmig abge­
hoben. Die freigelegte Tarsalzunge kann danach durch eine 
U­förmige Naht am Periost auf der Innenseite der Orbitakante 
verankert werden (Abbildungen 21 und 22). Bewährt hat sich 
eine doppelt armierte Nylonnaht mit kurzen, halbkreisförmi­
gen Nadeln (8 mm Durchmesser). Die Tarsalzunge wird von 
innen nach außen mit beiden Nadeln perforiert. Die kurzen 
Nadeln lassen sich rückwärts zwischen Bulbus und Orbita­

Abbildung 23 b: Das Periost der Orbitakante (P) wird freigelegt und 
durch Spreizung der Branchen exponiert.

Abbildung 23 a: Die Tarsalzunge (T) wurde von Haut und Bindehaut 
befreit. Eine doppeltarmierte 5­0­Nylonnaht perforiert sie von der 
Rückseite zur Vorderseite.

Abbildung 23 c: Beide Nadeln haben das Periost  auf der Innenseite 
der Orbita gefasst und treten an der Vorderseite der Orbitakante (P) 
aus. Die Tarsalzunge (T) liegt auf der Innenseite der Orbitakante.

Abbildung 23 d: Die Tarsalzunge (T) wurde in die Orbita gezogen. Der 
Knoten liegt auf der Vorderseite der Orbitakante (P).


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bung der Wimpernreihe nach lateral kann ein aberrierendes 
Wimpernwachstum zur Trichiasis im Lidwinkel führen. Diese 
Komplikationen lassen sich über eine erneute Kanthotomie 
operativ korrigieren.

Kanthusinsuffizienz

Wiederholte Kanthotomien führen zur Schädigung der Lid­
bänder und damit zur Insuffizienz der Verankerung an der 
Orbitakante. Durch atrophische Prozesse kann es zur Dehis­
zenz der vorausgegangenen chirurgischen Fixation kommen. 
Operativ kann diese Situation korrigiert werden, indem man 
die insuffiziente Lidbandfixation durch Hebung eines vitalen 
Hautmuskellappens vom Malarbereich deckt.

Literatur

1.  Collin JRO (2005) Manual of systematic eyelid surgery. Butterworth 

Heinemann, Oxford

2.  De Silva DJ, Prasad A (2015) Aesthetic canthal suspension. Clin Plast 

Surg 42: 79 – 86 

3.  Golnik KC, Gauba V, Saleh GM, Collin R, Naik MN, Devoto M, Nerad J. 

(2012) The ophthalmology surgical competency assessment rubric for 

lateral tarsal stripsurgery. Ophthal Plast Reconstr Surg 28: 350 – 354

4.  Korteweg SF, Stenekes MW, van Zyl FE, Werker PM (2014) Paralytic 

ectropion treatment with lateral periosteal flap canthoplasty and in­

troduction of the ectropion severity score. Plast Reconstr Surg Glob 

Open 2: e151; doi: 10.1097/GOX.0000000000000084

5.  Pfeiffer MJ (2004) Involutives Unterlidektropium: Chirurgische Thera­

pie. Ophthalmo­Chirurgie 16: 89 – 96

Korrespondenzadresse:

Dr. med. Markus J. Pfeiffer
Nymphenburger Straße 122
80636 München
www.augenlidklinik.de

Abbildung 25: Der Streifen autologer Fascia lata wird überlappend 
auf dem Oberlid fixiert und lateral an der Innenseite der Orbitawand 
wie eine Tarsalzunge verankert. 

Abbildung 24: Die vertikalen Ligamente (VL: Orbitomalarseptum 
oder Pessaseptum) werden über den Zugang der lateralen Kantho­
tomie durchtrennt, um die Retraktion nach unten zu lösen.

wand einführen, um Periost in der Orbita zu fassen und nach 
vorwärts an der Orbitakante auszutreten. Dort werden beide 
Schenkel verknotet (Abbildung 23).

Lösung der vertikalen Ligamente 

zwischen Lid und Orbitakante

Bei Hypokanthuspositionen kommt es sekundär zur Verkür­
zung der vertikalen Lidligamente (zwischen Lid und Orbita­
kante). Der Zugang über die laterale Kanthotomie ermöglicht 
die Durchtrennung und Lockerung der vertikalen Ligamente 
(Abbildung 24).

Ersatz der Lidbänder durch 

Implantation von autologer Fascia lata

Autologe Fascia lata aus dem Oberschenkel eignet sich her­
vorragend zur Überbrückung von defekten Lidbändern (Ab­
bildung 25).

Komplikationen der lateralen Kanthoplastik

Abweichende Kanthusposition

Bei Über­ oder Unterkorrektur der Höhenfixation kommt es 
gleichzeitig zur horizontalen Verengung oder Erweiterung der 
Lidspalte. Höhenabweichungen und die damit einhergehenden 
Horizontalabweichungen der Lidspalte können innerhalb der 
ersten zwei postoperativen Wochen durch Neujustierung der 
Periostfixation korrigiert werden. Danach muss die Kantho­
plastik mittels einer erneuten Kanthotomie justiert werden.

Zystenbildung und Trichiasis 

Da ein Tarsusrest mit intakten Meibomdrüsen und deren Mün­
dungen in die Orbita zum Periost verlagert wird, kann es zu 
Sekretstau und Zystenbildung kommen. Wegen der Verschie­